Erfolgreiche Familienzusammenführung auf Grundlage des Art. 20 AEUV, obwohl kein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegt

In einer jüngeren Entscheidung haben wir einer Familie dazu verholfen, ihr gemeinsames Familienleben in Österreich legal zu führen. Durch unsere Unterstützung konnten wir ein Aufenthaltsrecht für die Mutter zweier österreichischer Staatsbürger erzielen, die auch Zugang zum Arbeitsmarkt erlangt hat. Wir sind uns der Bedeutung und Tragweite unserer Beratung und Vertretung für das Familienleben unserer Mandanten und deren private und berufliche Zukunft in Österreich bewusst. Deshalb freuen wir uns über den Erfolg!

„Familienangehörige“ iSd österreichischen Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) grundsätzlich nur Ehegatten und minderjährige Kinder

Familienzusammenführung mit Zugang zum Arbeitsmarkt ist in Österreich grundsätzlich nur für die nächsten Angehörigen (Ehegatten, minderjährige Kinder) vorgesehen. Weiter entfernte Verwandte (zB Eltern, volljährige Kinder) haben grundsätzlich keinen Rechtsanspruch auf Familienzusammenführung bzw. können allenfalls nur einen Aufenthaltstitel ohne Zugang zum Arbeitsmarkt erlangen („Niederlassungsbewilligung-Angehörige“).

Wenn triftige Gründe, etwa aufgrund des Grundrechts auf Schutz des Privatlebens und des Familienlebens (Art 8 EMRK) bzw. aufgrund der Rechte von Unionsbürgern (Art 20 AEUV) vorliegen, hat der Verwaltungsgerichtshof – allerdings nur in extremen Ausnahmefällen – auch für entfernte Verwandte einen Anspruch auf Familienzusammenführung und Zugang zum Arbeitsmarkt bejaht (so etwa VwGH 24.3.2022, Ra 2018/22/0093).

Verwaltungsgericht Wien gewährt Aufenthaltstitel-Familienangehörige für Mutter einer volljährigen österreichischen Zusammenführenden

In einem komplexen Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht Wien haben wir erfolgreich den Anspruch einer Mandantin auf Familienzusammenführung durchgesetzt. Das Verwaltungsgericht Wien hat das Erkenntnis unmittelbar im Anschluss an die mündliche Verhandlung am 18.1.2023 verkündet (VGW-151/080/9065/2022-25). Das Besondere an der letztlich gewährten Familienzusammenführung (Erteilung des Aufenthaltstitels „Familienangehörige“) ist, dass

  • die Zusammenführende eine volljährige österreichische Staatsbürgerin ist, und
  • die Mutter der Zusammenführenden einen Aufenthaltstitel-Familienangehörige erlangt hat, der zur Erwerbstätigkeit berechtigt (und nicht bloß eine „Niederlassungsbewilligung-Angehörige“, die eine Erwerbstätigkeit in Österreich kategorisch ausschließt).

Das Verwaltungsgericht Wien hat das besondere Naheverhältnis und die gesundheitlich bedingte Abhängigkeit der Tochter von ihrer Mutter als ausschlaggebend für den Anspruch auf Familienzusammenführung beurteilt.

Es hat die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) auf eine österreichische Staatsbürgerin angewendet, obwohl kein so genannter grenzüberschreitender Sachverhalt („Freizügigkeitssachverhalt“) vorlag.

Die von uns im Beschwerdeverfahren ins Treffen geführte Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union hat das Verwaltungsgericht Wien überzeugt: „Wenn ein Unionsbürger (in diesem Fall die zusammenführende Tochter) im Fall der Verweigerung eines Aufenthaltstitels gezwungen wäre, das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen, haben enge Familienangehörige, zu denen der Unionsbürger in einem Abhängigkeitsverhältnis steht, ein Recht auf Aufenthalt (und Zugang zum Arbeitsmarkt).“ Vgl. EuGH 8.5.2018, K.A. u.a., C-82/16; in der österreichischen Rsp VwGH 25.7.2019, Ra 2019/22/0017; zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses im Einzelnen auch VwGH 17.6.2019, Ra 2018/22/0195.

Keine Amtsrevision der Niederlassungsbehörde (MA35) oder des Bundesministeriums für Inneres (BMI)

Im erstinstanzlichen Verfahren vor der Niederlassungsbehörde (MA35) hat die Behörde noch Widerstand geleistet und unsere Rechtsposition nicht geteilt.

Nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wien haben die Amtsparteien (Niederlassungsbehörde, in Wien: MA 35; BMI) keine Amtsrevision gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien erhoben. Das Erkenntnis wurde nicht angefochten. Die Amtsparteien haben damit die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts Wien billigend zur Kenntnis genommen. Es handelt sich um einen Präzedenzfall, der auch für künftige Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Wien richtungsweisend ist.

Zusammenleben in Österreich mit Aufenthaltstitel-Familienangehörige möglich

Mittlerweile hat die Niederlassungsbehörde (MA35) hat der Antragstellerin, d. h. der Mutter der österreichischen Staatsbürgerin, den beantragten Aufenthaltstitel-Familienangehörige erteilt. Die Familie kann nun gemeinsam in Österreich leben. Die Mutter hat mit dem Aufenthaltstitel-Familienangehörige ein Aufenthaltsrecht erlangt, das sie zur Niederlassung und zur Erwerbstätigkeit in Österreich berechtigt, ohne dass sie dafür eine Beschäftigungsbewilligung benötigt.

Wir freuen uns, dass wir auf diesem Weg einer Familie geholfen haben, gemeinsam in Österreich zu leben. Diese Entscheidung stärkt das Recht auf Familienzusammenführung und ‑einheit, die Grundrechte und die aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union abgeleiteten Rechte von Unionsbürgern. Es ist angesichts der prinzipiellen Zurückhaltung der Verwaltungsgerichte bei Anwendung der Rechtsprechung des EuGH zur Familienzusammenführung zu begrüßen.

Gerne können Sie sich an uns wenden, wenn Sie eine Familienzusammenführung mit Verwandten und Angehörigen aus Drittstaaten anstreben und für diese Verwandten einen passenden Aufenthaltstitel in Österreich erlangen möchten!